Áine O’Dwyer – Anything Bright And Startling?

Bild

Als ich etwa 17 war nahm mir ein Freund ein Tape mit Alan Stivell’s Renaissance of the Celtic Harp auf und das einleitende Stück „Ys“ faszinierte mich damals besonders. Stivell spielt zunächst unbegleitet und sein Spiel ist wie anrollende Wellen, eine Assoziation, die später unterstützt wird, indem er Field Recordings des an die Küste brandenden Meeres unter seine Harfenimprovisationen mischt. Nicht alles auf dieser Aufnahme mag ganz geschmackssicher gewählt sein, die Tabla und die sehnsuchtsvoll schwelgende Flöte insbesondere, dennoch bleibt es das vielleicht faszinierndste Stück von Stivell, das ich kenne, noch nicht ins Esotherische abdriftend wie vieles, was er später aufnahm. Eher ein Stimmungsbild.

Spielt heutzutage eine Frau Harfe und singt dazu, schwingen schnell die Assoziationen zu Joanna Newsom und auch wenn zu Beginn des Albums Anything Bright And Startling? dies auch für Áine O’Dwyer nicht völlig fehl geht – „Falcon“ könnte durchaus in der Melodieführung und Stimmung auch von Newsom stammen – sind die Einflüsse der jungen Irin deutlich weiter gesät. Da ist die 70er Avantgarde-Canterbury-Szene um Chris Cutler und seinen Art Bears, von denen O’Dwyer auch die Lyrics für ein Stück entlehnt, da ist sicherlich Nicos Avant-Folk von Marble Index oder Desertshore, aber da ist für mein Empfinden auch der frühe Alan Stivell. Denn was besonders eindrücklich auf Renaissance of the Celtic Harp wirkt, ist wie Stivell immer wieder das Wasser, das Meer, die Brandung mit seiner Harfe evoziert, ein Grundmotiv, das auch O’Dwyers Album durchzieht. Und wenn in „Hyperbolia/Boatwoman“ das Meer als Field Recording auftaucht und die allerdings wie aus den tiefen des Wassers aus den Algenwäldern dringende, verwunschen wirkende Flöte, dann wirkt das wie eine düster gewendete Hommage an Stivells Aufnahme.

Es ist seltsam, dass die Instrumentalpassagen des Albums viel narrativer wirken als die Vocals, die eher Assoziationen anstoßen, ohne Geschichten vollends auszuformulieren, als leiteten sie den Hörer nur hinüber in einen wortlosen Traum. Vier suitenartige Stücke finden sich auf dem Album und das Herz ist jeweils ein langer Instrumentalpart. „Falcon/Egress/Coiled Eyes“ beginnt mit einem idyllischen Bild der Zwieprache, das mittelalterliche Minnelyrik-Bild des dressierten Falkens als Synonym für den Geliebten aufgreifend und wenn die Harfe dann lange in Arpeggien die Wortführung übernimmt, dann mischen sich nur langsam durch das Cello die zweifelnden Töne hinein. Doch am Ende dominieren die dunklen Drones und ein geisterhaftes Glockenspiel über die Harfe, färben ihr Spiel in dunklen Farben und Áine O’Dwyers Stimme klingt plötzlich geisterhaft fahl und entrückt. „Hyperbolia/Boatwoman“ beginnt wieder mit tänzelnder Harfe, doch die Lyrics sind deutlich verstörter, ein Gesicht im Spiegel, das fremd erscheint, dem sich das lyrische Ich entzweit fühlt. Die Harfe bekommt eine seltsam surreale Qualität, fast spürbar, wie umspülendes Wasser, durch das die Sängerin dahintreibt, in einer seltsam-bizarren Unterwasserwelt, wie fortgerissen von einer somnambuler und schizophrener werdenden Gedankenwelt. Das Wasser, eine geisterhaft ausfransende Flöte, verlorene Chöre wie Nebelhörner, dann ein seltsam verzauberter Harfentanz von unglaublicher Schönheit und trauriger Verlorenheit zugleich, wie mit sich selbst in einem leeren Spiegelsaal Runden drehend.

Albion Awake/Lifeboy“ greift auf Lyrics zu einem Art Bears-Stück zurück, die allerdings lediglich in dem Heftchen zur LP The World As It Is Today abgedruckt waren – das Stück auf dem Album war ein dissonant-kakophonisches Instrumental –, aber einen Aufruf zum revolutionären Aufstand, zur Verwüstung des Bestehenden enthalten. „Let banners fly like shrapnel.“ Und „Silent O Moyle/Truant Crier“ bedient sich eines Gedichtes von Thomas Moore, das auf einer düsteren Sage beruht. Das Gedicht wird aus der Perspektive der in einen Schwan verwandelten Fionnula erzählt, die dazu verdammt ist über Flüsse und Seen zu wandern, bis das Christentum in Irland Einzug hält. „Truant Crier“ wechselt dementsprechend das Instrumentenregister und beendet das Album mit Kirchenorgelakkorden und Chören, die die Erlösung des armen Schwanes andeuten, aber seltsam dissonant und fast irr und obsessiv klingen, als handele es sich nicht um eine religiöse, sondern um eine wahnhafte Entrückung, die Fionnula am Ende ereilt. Nicos „Janitor of Lunacy“ winkt von weitem leise dazu.

Mit Anything Bright And Startling?ist Áine O’Dwyer ein surrealer musikalischer Trip gelungen, als verlöre man sich in einem Film von Guy Maddin, seltsam unzeitgemäß, bizarr und abgründig. Ein musikalischer Fiebertraum voller Anspielungen und zugleich von unbändiger Kreativität und Eigenständigkeit

Áine O’Dwyer auf soundcloud.

Das tolle Music for Church Cleaners auf Bandcamp.

Die Seite des Labels Second Language.

Dieser Beitrag wurde unter Musik abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar