Cosmo Sheldrake – Wake Up Calls (Tardigrade Records, 2020)

Mit 15 Jahren, so besagt es die Legende, hatte Cosmo Sheldrake sein musikalisches Erweckungserlebnis. Auf einem Hügel liegend und sich wahrscheinlich dem Müßiggang hingebend hörte der junge Sheldrake nacheinander die Rufe einer Lerche und einer Kuh. Sein Kopf verband die einzelnen Sounds zu einer ländlichen Version von Drum & Bass.

Seitdem arbeitet Sheldrake an einer Musik, die sich nicht nur dem musiktheoretischen Konzept des Genres an sich verweigert, sondern ähnlich wie John Cage die Idee des Sounds auch über das von Musikinstrumenten produzierte hinaus erweitert. Bei Cosmo Sheldrake sind es allerdings Sounds der Natur, insbesondere von Tieren, die gleichberechtigt neben klassischeren Tönen ihren Platz finden. Immer ausgestattet mit einem Aufnahmegerät flicht er dabei den Zufall fest in seine Kompositionen mit ein. Zum einen, weil eben nicht planbar ist, was einem auf der Wanderung begegnet und seinen Weg auf den Rekorder findet. Zum anderen in der Kompositionsform selbst. Aus kleineren und größeren Fragmenten schafft er aus beiläufigen Impulsen Collagen, verbindet Töne, setzt sie übereinander oder nebeneinander.

Diese zufällige Herangehensweise dient in erster Linie der Inspiration und Findung neuer Rhythmen und Melodien. Gleichzeitig spiegelt sie aber auch die Natur des Spazieren Gehens selbst. Der Begegnung mit unserer Umwelt.

„Wake Up Calls“, Sheldrakes letztes Album aus dem Jahr 2020, verbindet Vogelstimmen gleichberechtigt mit Instrumenten. Die Vögel, sagt Sheldrake, seien seine ungefragten Kollaborateure gewesen. Dieser Geist der Zusammenarbeit ist deutlich zu spüren. Musikinstrumente übernehmen Melodik und Rhythmik der Vogelstimmen, erweitern ihren Rahmen behutsam. Es ist ein wiegender Tanz, immer gemeinsam, mal einander umrundend und mal beherzt in die gleiche Richtung schreitend.

Die einzelnen Lieder sind der Reihenfolge nach geordnet, in der die Vögel am Tag das Singen beginnen. Doch was leicht verkopft klingt, ertönt auf dem Album subtil und sehr organisch. Vögel und Instrumente tasten sich vorsichtig in den Tag hinein, werden beherzter, schwungvoller und lassen es am Ende wieder ruhig ausklingen, während die Sonne hinter den Ästen verschwindet.

„Wake Up Calls“ ist über den Zeitraum von 9 Jahren entstanden. Einzelne Songs zuerst als Geschenk für Freunde, damit diese besser in den Tag starten, als mit dem klassischen Weckerklingeln. Andere Tracks komponierte Sheldrake für politische Events, zB den „People’s March for Wildlife“ oder einen Extinction Rebellion Protest in London.

Fast alle Vögel auf diesem Album gehören zu den bedrohten oder stark bedrohten Vogelarten. Ihnen gibt Sheldrake hier eine Stimme, die nicht nur hübsch, sondern vor allem fragil klingt.

Diese Vögel und ihr Gesang sind ein zerbrechliches Gut.

Nur auf einem einzigen Lied ist eine menschliche Stimme zu hören, dem von Benjamin Britten komponierten und hier im Duett mit einem Kuckuck vorgetragenen „Cuckoo Song“. Die Aufnahme des Vogels, so behauptet Sheldrake, sei direkt über dem Grab von Britten erfolgt. Es lässt sich also gut vorstellen, dass diese spezielle Kollaboration nicht nur verschiedene Spezies, sondern auch unterschiedliche Existenzzustände umfasst.

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