Cosmo Sheldrake – Wake Up Calls (Tardigrade Records, 2020)

Mit 15 Jahren, so besagt es die Legende, hatte Cosmo Sheldrake sein musikalisches Erweckungserlebnis. Auf einem Hügel liegend und sich wahrscheinlich dem Müßiggang hingebend hörte der junge Sheldrake nacheinander die Rufe einer Lerche und einer Kuh. Sein Kopf verband die einzelnen Sounds zu einer ländlichen Version von Drum & Bass.

Seitdem arbeitet Sheldrake an einer Musik, die sich nicht nur dem musiktheoretischen Konzept des Genres an sich verweigert, sondern ähnlich wie John Cage die Idee des Sounds auch über das von Musikinstrumenten produzierte hinaus erweitert. Bei Cosmo Sheldrake sind es allerdings Sounds der Natur, insbesondere von Tieren, die gleichberechtigt neben klassischeren Tönen ihren Platz finden. Immer ausgestattet mit einem Aufnahmegerät flicht er dabei den Zufall fest in seine Kompositionen mit ein. Zum einen, weil eben nicht planbar ist, was einem auf der Wanderung begegnet und seinen Weg auf den Rekorder findet. Zum anderen in der Kompositionsform selbst. Aus kleineren und größeren Fragmenten schafft er aus beiläufigen Impulsen Collagen, verbindet Töne, setzt sie übereinander oder nebeneinander.

Diese zufällige Herangehensweise dient in erster Linie der Inspiration und Findung neuer Rhythmen und Melodien. Gleichzeitig spiegelt sie aber auch die Natur des Spazieren Gehens selbst. Der Begegnung mit unserer Umwelt.

„Wake Up Calls“, Sheldrakes letztes Album aus dem Jahr 2020, verbindet Vogelstimmen gleichberechtigt mit Instrumenten. Die Vögel, sagt Sheldrake, seien seine ungefragten Kollaborateure gewesen. Dieser Geist der Zusammenarbeit ist deutlich zu spüren. Musikinstrumente übernehmen Melodik und Rhythmik der Vogelstimmen, erweitern ihren Rahmen behutsam. Es ist ein wiegender Tanz, immer gemeinsam, mal einander umrundend und mal beherzt in die gleiche Richtung schreitend.

Die einzelnen Lieder sind der Reihenfolge nach geordnet, in der die Vögel am Tag das Singen beginnen. Doch was leicht verkopft klingt, ertönt auf dem Album subtil und sehr organisch. Vögel und Instrumente tasten sich vorsichtig in den Tag hinein, werden beherzter, schwungvoller und lassen es am Ende wieder ruhig ausklingen, während die Sonne hinter den Ästen verschwindet.

„Wake Up Calls“ ist über den Zeitraum von 9 Jahren entstanden. Einzelne Songs zuerst als Geschenk für Freunde, damit diese besser in den Tag starten, als mit dem klassischen Weckerklingeln. Andere Tracks komponierte Sheldrake für politische Events, zB den „People’s March for Wildlife“ oder einen Extinction Rebellion Protest in London.

Fast alle Vögel auf diesem Album gehören zu den bedrohten oder stark bedrohten Vogelarten. Ihnen gibt Sheldrake hier eine Stimme, die nicht nur hübsch, sondern vor allem fragil klingt.

Diese Vögel und ihr Gesang sind ein zerbrechliches Gut.

Nur auf einem einzigen Lied ist eine menschliche Stimme zu hören, dem von Benjamin Britten komponierten und hier im Duett mit einem Kuckuck vorgetragenen „Cuckoo Song“. Die Aufnahme des Vogels, so behauptet Sheldrake, sei direkt über dem Grab von Britten erfolgt. Es lässt sich also gut vorstellen, dass diese spezielle Kollaboration nicht nur verschiedene Spezies, sondern auch unterschiedliche Existenzzustände umfasst.

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The Rediscovery of Steffen Basho-Junghans

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Ein schlechter Einstieg in die Wiederauferstehung unseres Blogs wäre sicherlich, wenn ich mich darüber mokieren würde, dass der Musiker und Maler Steffen Basho-Junghans als deutscher Künstler in seinem Wohn- und Heimatland (fast) komplett unbekannt ist und hingegen im vermeintlichen Mutterland des Fußballs plus den englischsprachigen Staaten hinter dem atlantischen Ozean dann doch von dem ein oder anderen Musikenthusiasten erkannt werden würde. Ein schlechter Einstieg ist sicherlich auch dieser lange verschachtelte erste Satz, aber mit beidem müssen wir uns nun abfinden.

Steffen Basho-Jungahans‘ letztes Album „IS“ von November 2009, was auf seiner Website http://www.bluemomentarts.de/  noch als „brandneu“ angepriesen wird, war eine überaus lohnende Zusammenfassung seines künstlerischen Schaffens. Die enigmatische, komplexere und epischere Variation des American Primitivism, der seinem Vorbild Robbie Basho entspricht – der auf ein Instrument reduzierte und geglückte Versuch den klassischen Minimalismus einen Steve Reich einzufangen – und viele Momente der Abstraktion, des Experiments, der Stille. Seit dem ist es um den in Berlin lebenden gebürtigen Thüringer still geworden.

basho2Nun ein Lebenszeichen – ein ausgesprochen großartiges sogar: Auf dem zweiten Tribute-Album zu Robbie Basho, „Basket Full Of Dragons: A Tribute To Robbie Basho Vol. II“ (Obsolete Recordings), das im Juli 2016 erschienen ist, schenkt uns Steffen Basho-Junghans mit „The Rediscovery Of Basho’s Cathedral“ seine Variante von Robbie Bashos „Cathedral Et Fleur De Lis“, die erfreulicherweise aber nur entfernt daran erinnert und ansonsten komplett aus Basho-Junghans‘ Feder stammt. In dem 9-minütigen Stück fängt er vor allem sein Frühwerk ein, das von einer Weiterführung des Schaffens des Vorbildes Robbie Basho geprägt war. Nicht umsonst hießen Album Nr. 3 und 4 „Fleur De Lis I“ (1995) bzw. „Fleur De Lis II“ (1996). „The Rediscovery Of Basho’s Cathedral“ ist aber nicht bloß ein nosatalgischer Blick in die Neunziger, auf die Anfänge als Gitarrensolist. Hatten die beiden hübschen und überaus zugänglichen Alben teilweise folkloristische Anklänge durch bittersüße Miniaturen, erstrahlt der aktuelle Beitrag zum Tribute-Album als ernstes, kräftiges, zum Abschluss saitenstarkes Manifest in epischer, aber nicht sich selbst glorifizierende Breite. Fast so, als wolle uns Basho-Junghans sagen: „Ich bin wieder da! Und bitte weit, weit hinten anstellen, liebe Basho- und Fahey-Epigonen, die er selbst nichts zu sagen habt!“

Es wäre zumindest ein Wunsch, dass es nicht bei einem kurzen Hallo verbleibt, sondern ein pompöses BRANDNEU! bald auf seiner Website unter einem frischen Album prangern würde.  „The Rediscovery Of Basho’s Cathedral“ versetzt uns hier schon mal in Entzücken.

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The Thing & Fire! Orchestra live @ ADK Berlin, Sonntag 02.11.2014

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Der große Saal in der Berliner Akademie Der Künste, fernab des hippen Berlins am Hansaplatz im Westen der Stadt gelegen, war zum Bersten gefüllt. Wenn man das über einen mit Studiencharme belegten, ordentlich mit reinen Sitzreihen gefüllten Universitätsraum überhaupt so sagen kann. Zu erleben gab es eine Sonntagsmatinee der besonderen Art, feuriger Jazz mit The Thing, sowie – Berliner Jazzfest und diverser Hauptstadtförderungen sei Dank – auch das von Mats Gustafsson geleitete 30-köpfige Fire!-Orchestra.

The Thing, das Trio aus Mats Gustafsson, Paal Nilssen- Love und Ingebrigt Haker Flaten, bildete dabei den Auftakt und Support. Was als Blowing Session startete, um die versammelten Professoren Jacketts und Seidenschals in Feuer zu setzen, wurde unvermittelt eine gefühlvolle Version von Don Cherrys „Golden Harp“. Das Trio war in guter Stimmung, wechselte zwischen schierer Energie, subtil-melodiösen Passagen und schmatzenden Rockgrooves präzise hin und her. Mats plauderte vergnügt auf deutsch, versuchte das Publikum zu überzeugen, dass die Wikinger den Jazz erfanden. Eine Hinleitung zu „Viking“, natürlich, und passend dazu, „Red River“ der letzten The Thing LP „Boot!“. Abschließend gab es noch die Version eines „begabten Songwriters, namens Duke Ellington“ – Gustafsson spielte unablässig das Thema, Flaten umgarnte, stieg ein, übernahm, Nilseen-Love steigerte den Song über Minuten zu einem irrsinnigen Crescendo. Der Schweiß sprühte aus dem Bariton-Sax über die erste Reihe, alle waren glücklich.

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Nach einer kurzen Pause betraten dann die knapp 30 Musiker des Fire!-Orchestra plus Special Guests Falten und Nissen-Love die Bühne. Wie angekündigt wurde die letzte Komposition, „Enter!“ in Gänze gespielt. „Enter!“ beginnt catchy und reduziert. Ein simpel gehaltenes, molliges Bluesthema auf dem E-Piano breitet den Teppich aus, auf dem Mariam Wallentin (von Wildbirds & Peacedrums) ihre erdige Stimme tanzen lässt. Sofia Jernberg und Simon Ohlsson steigen mit zweiter und dritter Stimme ein, verhalten erst, doch mehr und mehr vereinigen sich alle drei Stimmen, sind gebündelte Kraft, die Reeds punktieren mit Licks, drücken das Gaspedal mehr und mehr nach unten, bis… ja, bis ein Sound entsteht, der nur schwer zu beschreiben ist. Wie sollen auch drei Schlagzeugsets, drei Bassisten, und ein ganzes Line-Up individuell großartiger Trompeter, Tubaspieler, Posaunisten und Saxophonisten in diesen paar Buchstaben eine Entsprechung finden? Das Fire!-Orchestra wechselt immer wieder zwischen der unglaublichen Wucht seiner Personenstärke und individuellen Klasse, sowie den von Gustafsson subtil arrangierten Momenten, in denen einem oder zwei Spielern die Bühne bereitet wird für persönlichen Ausdruck. „Enter!“ ist ja teils als Potpourri verschiedenster Klischees geschmäht worden. Das Patchwork-artige der Komposition lässt sich wohl auch nicht leugnen, ist auch deutlicher erkennbar als auf „Exit!“, dem Debüt des Orchestras. Dennoch muss angemerkt werden, dass Gustafsson es versteht, jedem einzelnen Musiker einen Moment zu geben, in der sich die eigene Stimme entfalten kann, egal ob es nun eine Noise-Gitarre, eine Tuba, Electronics, Punk-Stimme oder Percussion ist. Dies eingerechnet, klingt „Enter!“ erstaunlich homogen, und versprüht dazu noch den Geist eines einmaligen Events, eines Community-Happenings. Allen Musikern ist anzumerken, dass ein Auftritt in diesem Orchester eine seltene und willkommene Gelegenheit ist, Lächeln und versteckte Scherze allerorten. Zum Ende des Abends kehrt das Bluesthema aus dem Klavier wieder zurück, die Sänger erheben sich ein letztes Mal von ihren Stühlen, die Musik schwillt an bis in elysische Höhen, vermindert, erhebt sich wieder, lauter noch als zuvor, bricht ab und streckt den Kopf ein letztes Mal empor, zu einem bestialischem Schrei aus dreißig Mäulern. Eine letzte Armbewegung von Gustafsson, der wie ein freundlicher Herbergsvater seine Bagage in der Mitte der Gruppe dirigiert hatte, dann implodiert die Stille im Saal. Standing Ovations, zurecht, für diesen lautesten Sonntagnachmittag dieses Jahres.

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Xylouris White – Goats

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Das Duo-Album von Nina Nastasia und Jim White „You Follow Me“ gehört für mich immer noch zu den absolut größten Platten der sogenannten Nuller-Jahre. Nastasias brillantes Songwriting wird hier nicht nur begleitet, sondern in die Höhe gehoben vom so intuitiven wie unglaublich versierten Trommelspiel Jim Whites. Er lockte, malmte, dräute und donnerte, das Schlagzeug wurde zum ganzen Orchester.

Das „White“ in Xylouris White verweist nun auf eben jenen Jim White. Wieder hat er eine Duo-Platte aufgenommen, dieses Mal mit George Xylouris, einem experimentellen griechischem Lautenspieler. Ohne bisher etwas von George Xylouris gehört zu haben wird auf „Goats“ schnell klar, dass sein Lautenspiel wenig bis nichts mit der Schnarchigkeit, pardon, meditativen Ruhe eines Van Wissem zu tun hat. Folklore, Blues, Jazz und mittelalterliche Musik verschmelzen in Xylouris Spiel zu einem sehr eigenwilligen, aber durchaus homogenen Mix. Und Jim White ist der passende Drummer, um diesem Konglomerat noch eine feurige Tiefe zu verpassen. Es ist spannend zu hören, wie sich beide aneinander abarbeiten, einander umtänzeln. War das Duo Nastasia/White wie EINE Faust, wie aus einem Guss, so ist Xylouris White ein kommunikatives Bestreben, der zweiköpfige Ziegenbock, der dir mit einer Schnauze aus der Hand frisst, und Dich mit dem anderen Kopf auf die Hörner nimmt.

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Mats Gustafsson/ Massimo Pupillo / Brian Chippendale live @ A L’Arme Festival, Radialsystem Berlin. 12.08.2014

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„Bitte beachten sie die erhöhte Lautstärke während des Konzertes“ stand fürsorglich auf einem Zettel neben der Tür, die in den großen Saal des Radialsystems führte. Das größtenteils gutbürgerliche Publikum schwenkte noch gutgelaunt die Weinschorle in den abgedunkelten Raum, zog es dann aber doch vor, die bequemen Stühle in der Mitte und im hinteren Teil der Tribüne zu frequentieren. Die roten Matten direkt vor der Bühne blieben zunächst seltsam leer.

Ach, was solls. Vorne Mitte ist doch ein guter Platz, also hin da.

Die launig angekündigte Band erschien in Jeans und T-Shirts, nickte kurz ins Publikum und legte los. Wie die Feuerwehr, könnte man sagen, wenn sie nicht solch einen Flächenbrand veranstaltet hätte. Gustafsson machte den Anfang, beschränkte sich wie den größten Teil des ersten Sets auf seine auf einem Tisch angereihten Elektronica, drehte immer wieder an verschiedensten Knöpfen, mittels derer er knarzte, sirente, brüllte. Seltsam, diesen Hünen, den Popeye des Jazz mit seinen knorrigen Fingern an filigransten Knöpfchen drehen zu sehen. Pupillo kniete die ersten Minuten im Halbdunkel am Rande der Bühne wie andächtig im Gebet, während Brian Chippendale, der eigentlich Drummer bei der Noise-Rock-Band Lightning Bolt ist, sofort wie ein Orkan über seine Felle herfegte.

Die Band spielte zwei ca 40minütige Sets, die aus jeweils einem Stück bestanden und eine kurze, krachende Zugabe. Das Energielevel war beständig hoch, ein permanenter Ritt auf dem Vulkan, die Band kreierte einen Mahlstrom aus kreischendem Noise und hypnotischem Doom-Rock. Insbesondere Pupillo und Chippendale fanden immer wieder in repetetiven, soghaften Grooves zusammen, die sie leicht verschoben und variierten und über die Gustafsson seine Effekte bediente, bevor das mühsam zusammengehaltene Rhythmusgeflecht sich in ein neues Gewitter entlud. Pupillo, den Bass fast bis auf den Boden tiefergelegt und den nackten Arsch aus der Hose hängen lassend, formte die Klänge seines Instruments zu einer beinahe physischen Präsenz, die oftmals dunkel, konturlos und gewaltig über den Reihen hing, und sich dann doch plötzlich als minimalistisches Pattern aus dieser Masse schälte. Anders kann man dem komplexen fastforward- Wahnsinn eines Brian Chippendale wohl auch kaum begegnen, als mit minimal stoischen Grooves und der Bearbeitung des Basses als eines massiv unruhigen Körpers. Chippendale selbst saß die wenigste Zeit mit großen Augen hinter seinem Schlagzeug und hörte zu. Die meiste Zeit spielte er in wilden Körperkonvulsionen, die Augen verdreht, der Mund offen, seine komplex-intuitive Begleitung (die eigentlich solistisch ist). Ein Zombie, aus 28Days Later entstiegen, vor allem ebenso schnell. Gegen Ende des zweiten Sets gingen ihm die Stöcke aus. Sie waren ihm zuvor, ein halbes Dutzend, aus dem Wirbel in die Tiefe der Bühne geflogen. Gustafsson und Pupillo blieben in ihrem rauschhaften Film, der Schweiß tropfte, und Chippendale lief irritiert um sein Schlagzeug herum, bevor er sich auf seine Snare und Bassdrum stellte und so das Ende des zweiten Sets abwartete. Ein unerwartet zarter Moment, der einzige auch. Die Basssaiten klangen über zwei Minuten aus, Mats blies, nein, hauchte ermattet den immergleichen Ton aus seinem Saxophon.

Obwohl der Applaus unerwartet mau blieb (immerhin war das Radialstem ausverkauft an diesem Abend, auch wenn einige Leute bereits in der ersten Hälfte flüchtend den Weg nach draußen suchten), kam die Band für eine kurze Zugabe zurück. Ein präziser, kompromissloser und kurzer Exzess, ein Ende wie mit der Rasierklinge gezogen, das wars.

Nach dem Konzert saßen wir noch betäubt in Liegestühlen im nächtlichen Biergarten und ließen über uns die Sternschnuppen dahinsausen. Wir waren angespannt und von einer tiefen Ruhe erfüllt. Die Hipster an der Spree, wir sahen sie nicht. Widerstandslos tranken wir unser Bier, für dessen Preis man anderswo einen Kleinwagen erhält. Hippies trommelten am anderen Ufer des Flusses.

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Wyrd Visions – Half-Eaten Guitar

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Man kann sich Colin Bergh, den jungen Mann aus Toronto, als Zeremonienmeister vorstellen, als Repräsentant irgendeines uralten idiosynkratischen Kultes. Die Musik, die er jedenfalls als Wyrd Visions spielt ist eine vollständig imaginäre Folkmusik. Zeremonielle Gesänge, bis aufs Skelett entkleidet, in repetetive Muster eingefangen und in widerborstenden Rhythmen kreiselnd, sich so manisch wie trunken wiegend. Diese Form des selbst erfundenen Folk, diese geographisch unbestimmbare, zeitlose Musik erinnert etwas an Nalle, die sich ebenfalls ihre eigene Worldmusic ersponnen haben. Glöckchen wird man bei Wyrd Visions jedoch keine hören, der Sound ist zerschossener, minimal, eine Art paganer Ein-Mann-Chor. Wenn Nalle die rauschende Laubkrone sind, wispernd und rauschend, präsentiert Half-Eaten Guitar die Wurzeln, knorrig, fest und immer dürstend.

Das Album eröffnet mit dem 11minütigen „Sigill“. Ein entfernt bluesiges, rhythmisch hypnotisches Muster auf einer Gitarre, die klingt, als hätte man sie gerade aus der Erde gebuddelt ertönt, wiederholt sich, dreht sich und dreht sich, nichts passiert, oder doch alles und auf einmal ist da diese Stimme, die ihren rituellen Gesang in einer fremden Sprache singt, sich wiederholt und wiederholt und plötzlich ist das Lied vergangen und man weiß nicht, waren das nun fünf Minuten oder Fünfzig? Dieses Gefühl der Zeitlosigkeit ist allen Liedern auf Half-Eaten Guitar zu Eigen. Hier geht es ums Ganze, um den Zugriff der Musik auf das Unendliche.

Mit „Freezing Moon“ findet sich allerdings auch ein Track unter all der rituellen Knorrigkeit, der tatsächlich wie ein Song klingt – ein vollkommen entkleidetes, akustisches Mayhem Cover, mit Grabglocke und zweistimmigem Gesang. Black Metal ohne Metal, „Black Wood“ eher. Die Nähe zu Phil Elverums Projekten ist hier unüberhörbar, und so wundert es nicht, dass Elverum das 2006 in gewisser Obskurität herausgebrachte Half-Eaten Guitar nun  noch einmal auf seinem eigenen Label wiederveröffentlicht.

W-Y-R-D   V-I-S-I-O-N-S   across the sky

 

p.w. elverum & sun webshop

 

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Angel Olsen Live in Hamburg (03.04.2014) und Leuven (04.04.2014)

Ein Blumenstrauß für Angel

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Cloudy und Willow unterhalten sich über ihr Angel Olsen Konzerterlebnis. Cloudy erlebte Angel am 03.04. im Hamburger Club “Kleiner Donner”, Willow sah das Konzert einen Tag später im belgischen Leuven.

 

WILLOW: Wir haben uns also darauf geeinigt, die Worte “Engel” und “Lichtgestalt” in unserer kleinen Schwärmerei zu vermeiden. Aber was ist mit ihren Augenbrauen? Über diese zwei herrlichen Bögen, die wie Jugendstilbrücken ihr Gesicht verzieren, dürfen wir doch jubilieren, oder?

 

CLOUDY: Aber klar! Zumal diese kunstvoll geschwungenen buschigen Linien wie Sinnbilder erscheinen für die ausgesponnenen Bögen, die sie in ihrem Gesang zu schlagen weiss. Diese fein ziselierten Gebilde, die sie mit ihrer Stimme zu klöppeln versteht wie erlesenstes Spitzengewebe, in denen jede Betonung, jedes Intensivieren konzentriert gesetzt zu sein scheint. Dieses Leichtfüssige, wie sie ihre Stimme mit einem kraftvollen Sprung in die Höhe aufschwingen läßt, das Herz des Zuhörers pochend und stockend mit hinaufnehmend wie ein flaumiges junges Vöglein auf dem ersten Flug. Dieses Schillern zwischen dem Country Twang alter 60er-Jahre Pop-Songs und den zarten Nuancierungen kunstvoller Folk-Erzählungen, das plötzliche Ausbrechen in wahre Banshee-Howls, um dann wieder leise zartes Ambrosia zu wispern. Auffliegend und doch geerdet mit beiden Stiefeln auf dem Boden stehend, mit einem umwerfenden natürlichen Charme. Ganze innere Charakterlandschaften kann sie damit entwerfen und den Hörer entwaffnet und bezaubert zurück lassen. Von den frühen Aufnahmen von Cover-Songs auf Lady of the Waterpark, die Angels Liebe zum 60er-Jahre-Pop dokumentierten, hin zu der weiten Klangpalette auf dem aktuellen Burn Your Fire For No Witness hat sie eine atemberaubende Strecke zurückgelegt, reifer, bewusster die eigenen Mittel einsetzend, wie eine gewiefte mit allen Wassern gewaschene Erzählerin, die kunstvoll das sich selbst vergessende Publikum an ihre Weltgebäude aufbauenden Lippen bindet. Angel Olsen, the one and only!

 

WILLOW: Stimmt, selbst in ihren sparsamen, folkinspirierten Liedern, wenn sie sich alleine auf der Gitarre begleitet, ist Angel meilenweit entfernt vom Klöppeldeckchenfolk oder ätherischer Betroffenheitsmusik. Man schaue sie sich nur an, wie sie auf der Bühne steht. Die Augen in die Ferne gerichtet oder auf ihre Gitarre, voller Konzentration, die sich in dieser kleinen, angestrengten Falte in der Mitte ihrer Stirn manifestiert. Versunken, geerdet, mit diesem ernsthaften Augenaufschlag in Zeitlupe, bevor plötzlich, gänzlich unerwartet, die Andeutung eines selbstvergessenen Lächelns auf ihren Lippen erscheint, als würde sie immer wieder die sachten Kapriolen ihrer Erzählungen und Melodien ganz neu mit ihren Zuhörern zusammen entdecken. Das belgische Publikum zeigte sich dann auch so verzaubert wie paralysiert, zweihundert Salzsäulen starrten mit offenen Mündern. Und das, obwohl mit La Luz, dem All-Girl-Vierer aus Seattle, der so charmant- naiven, wie auch schwül-groovenden Surfrock spielte, ein Supportact auftrat, der durchaus zum Tanzen animierte.

 

CLOUDY: In Hamburg auf ein Konzert zu gehen, kann ein seltsames, manchmal zermürbendes Erlebnis sein. Musiker sehen sich hier oft mit eigenwilligen Zwischenrufen konfrontiert. Herzzerreissend bleibt der Moment in Erinnerung, als eine junge Konzertgängerin in die mit Herzblut vorgetragenen Folk-Exkursionen von Alasdair Roberts lautstark nach Folge-Act Joanna Newsom verlangte, oder der düstere Augenblick, als ein junger Mann der Sängerin von Warpaint zurief: You look great!, um dann, als sie sich bedankt hatte, das Messer im Herz umzudrehen mit den Worten, Oh, I meant the other girl! Kommunikation zwischen Künstler und Publikum ist immer ein Terrain der möglichen Disharmonie.

 

Was das Konzert von Angel betraf, war das Publikum natürlich verliebt, da verbieten sich solche Eskapaden. So gab es eher den lyrisch-kreativen Ausruf “We need some things cosmic to unfuck the world, Angel!” den Angel kühlen Blicks mit “Sweet dreams and good night” konterte, Songankündigung und Antwort zugleich. Vielleicht auch war ihre Frage vor dem letzten Song nach der Uhrzeit nicht ganz glücklich, gab es doch nach einem kurzen betretenen Schweigen eine pikierte Rückfrage, warum sie das denn wissen wolle. Vielleicht waren es diese Missverständnisse – das Herz von Verliebten ist ja leicht zu verletzen – zusammen mit der ausbleibenden Zugabe nach gefühlt fünf Minuten Applaus, die Paul Baskerville dazu brachten, das Konzert als eines der lustlosesten zu bezeichnen, die er je erlebt habe. Auch wenn Angel den Faux-Pas mit der Uhrzeit wett zu machen versuchte durch die Ankündigung: “So, I play a seven minute song!” und dann das großartige “White Fire” folgen ließ. Wer konnte ihr danach noch böse sein?

 

Wie auch immer, becirct und mit verliebt-glücklichem Lämmchenblick wie ich in der zweiten Reihe stand, kann ich von Lustlosigkeiten nichts berichten. Sicher, Angel und ihre Band warfen sich nicht extrovertiert an das Publikum heran, sondern zirkelten sich eher ein auf der Bühne in einen intensiven Austausch, spielfreudig, aber ohne sich in großen Rockgesten zu verschleudern. Im Bandgewand scheint Angel anderen Formen des stimmlichen Ausdrucks nachzuspüren, hier ist es weniger der bedächtige Spannungsaufbau, bei dem jede Zeile, jede Silbe fast eine eigene Betonung, eine andere Nuancierung erfährt, der ihre ruhigeren Stücke auszeichnet. Hier kann sie sich hineinarbeiten in kräftiges Aufheulen wie in “Sweet Dreams”, meinem vielleicht liebsten Song in ihrem neuen Rocksound, und findet plötzlich eine sehr eigene Verbindung aus Twang und Riot Grrrl-Gestus. Doch noch unter dem verbrüdernden “Hi-Five” der nachtschwärmerischen einsamen Seelen schimmert leise die Unüberwindbarkeit der Distanziertheiten hindurch, die zufällig gefundene Gemeinschaft ist so scheinbar und trügerisch, wie das Aufgehen des Zuhörers in der Musik im Moment des Konzerts. Angel Olsen wahrt die Distanz zum Zuschauer noch in den Momenten, in denen die Songs scheinbar intimste Einblicke gewähren. Ihren Mitmusikern aber wirft sie ein aufmunterndes Lächeln zu, als besiegele sie eine verschworene Gemeinschaft. Lustlos ist das nicht, sondern eine bewußte Entscheidung gegen den großen Gemeinschaftsgestus, den Rockkonzerte gern zelebrieren würden.

 

WILLOW: Der Moment aber, als Angel Olsen im Konzert das Bandkorsett abwarf und sich mit Gitarre in die Mitte der Bühne stellte, um die letzten Lieder alleine zu spielen, bedeutete die Verwandlung eines intensiven Rockkonzerts in Augenblicke höchstmöglicher Verdichtung bei gleichzeitig höchstmöglicher Fragilität. Alles war nun pur erfahrene Gegenwart, Luftanhalten im Publikum, Zeitlosigkeit. Die Fotohandys blieben in den Taschen für diesen Teil und das Barteam bewegte sich aus Rücksicht katzenhaft. Die Akkorde für “Creator, Destroyer”, von Angel wahrscheinlich seit Monaten nicht mehr gespielt, musste sie sich erst einmal wieder in Erinnerung rufen. “Trying to figure out the chords. In front of people. Feels a bit weird.”, sagte sie noch mit diesem halben Lächeln, bevor sie ganz in ihrem Song versank und eine ergreifende, weil entwaffnend unroutinierte Version des Liedes spielte. Schon zuvor, im Bandset, markierte “Drunk And With Dreams”, ebenfalls der “Strange Cacti”- EP entnommen, einen der Höhepunkte des Abends und bewies eindeutig, dass die Magie dieser Lieder sich nicht allein einer LoFi Ästhetik verdanken, sondern sie auch wunderbar im größeren Kontext funktionieren. Klangen die kurzen, schnelleren Stücke der neuen LP an diesem Abend auch vertraut nach den Albumversionen, so war es vor allem “Windows” vorbehalten, den dunklen Raum für einige wenige Minuten zu erleuchten. Ohne die Backingvocals, welche die Aufnahme in diese schwindelerregenden Höhen schraubten, zeigte sich der Song noch verletzlicher, schonungsloser und nackter. Ein kaum merkliches Zittern durchzog dieses Lied, Angels Stimme ganz konzentriert, schlenkerlos in dünner Luft operierend, pure Präsenz, sich immer wieder ins Überirdische verflüchtigend. Übertroffen nur von “White Fire”, auch in Leuven das letzte Lied, bevor die ganze Band für eine Zugabe auf die Bühne kam.

 

CLOUDY: “Windows”, “Creator, Destroyer”, “für eine Zugabe auf die Bühne kommen”, Willow, du brichst mir das Herz… Hatte Angel die Hansestadt nicht liebgewonnen? War es, dass ihr “Windows” in Bezug auf den dunklen, fensterlosen Raum wie unzulässige Sozialkritik erschien und sie nicht nach der Uhrzeit-Frage noch mehr Verunsicherung streuen wollte unter dem Publikum? Nicht, dass es nicht wunderbar war mit “White Fire” nachschwingend im Ohr durch die Nacht nach Hause zu gehen, aber allein für “Windows” wäre ich doch gern nach Leuven gepilgert (von La Luz ganz zu schweigen, auch wenn Allie, no offence, ein sehr passabler Start in den Abend war). So bleibt mir, mich an das dezente Zuprosten zu erinnern, mit dem Angel die Bühne in Hamburg verließ. Und das kleine selbstvergessene Lächeln während des Vortrags, das die konzentrierte Miene immer wieder kurz aufhellte. Und das atemlose Lauschen bei “White Fire”. Ach, es war trotzdem schön. Fulminanter als mit Angel Olsen kann man ja nicht in den Frühling starten. Da mach ich das Fenster dann auch gern ganz für mich allein auf… “To sing the stars into our universe / to sing it all back into something new”, für mich hat Angel das an diesem Abend in Hamburg geschafft. Ich schließ erinnernd die Augen und lausche meinem Atmen ein Weilchen…

 

WILLOW: Dem bleibt mir nichts mehr hinzuzufügen. Auch wenn es in Leuven keinen Handkuss gab wie in Berlin, kein hansestädtisch dezentes Zuprosten: lassen wir die Worte Worte sein und lieber Bilder sprechen, sowie, auch hier zum Abschluss, “White Fire”. Und, um den Bogen zum Anfang zu schlagen, ein letztes Seufzen:

diese Augenbrauen…..

 

 

 

 

Bildi

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http://www.angelolsen.com

 

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Benjamin Shaw

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Verkatert in die Morgensonne blinzelnd klingen die Songs des Londoner Singer-Songwriters Benjamin Shaw, zärtlich und zerbrechlich, aber zugleich wie gebadet in einem Inferno aus verwirrt durch die Gegend eiernden Spielzeugen und begeistert auf verstimmten Instrumenten kratzenden Kinderorchestern. Wie eine zarte Seele, die in eine überlaute Welt versetzt wurde und deren einziges Schutzschild ein leicht resignierender, bitterer Humor ist. Shaws Debutalbum There’s Always Hope, There’s Always Cabernet ist 2011 auf dem kleinen Label Audio Antihero erschienen und verbindet Pop-Appeal mit verspielten Noise-Basteleien und Texten, deren scheinbar schluffiges Besingen des trotzigen Underachievements und Außenseitertums unvermittelt in blutige Phantasien umschlagen können. Ein wenig entrückt und aus der Zeit gefallen, Assoziationen zu Sparklehorse oder Bands wie Alfie lugen kurz um die Ecke, aber Shaws von DIY-Charme übersprudelnde Versponnenheit ist schon eine ganz eigene, experimentierfreudige Welt.

Im April wird nun wieder auf Audio Antihero ein neues Album erscheinen, diesmal mit einigen Gastmusikern wie Ex-Hefner Jack Hayter und Lieven Scheerlinck. Goodbye, Cagoule World wird es heißen und vorab kann man sich bereits die (nahezu) gleichnamige Single und einen weiteren Track anhören.

Bandcamp des Labels Audio Antihero

Benjamin Shaws Homepage.

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Iain M. Banks – Matter

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Am Ende von „Matter“, nachdem alles so unausweichlich, so unwiederbringlich anders gekommen ist, als ich noch während des Lesens vermutet hatte, nachdem Banks wieder einmal seine Finten erfolgreich ausgeführt hat, um brutal zu zeigen, wie zufällig, planlos und sinnlos das Leben zumeist verläuft, nachdem die letzte Seite also so unvermittelt wie ein Faustschlag in meinem Gesicht landete, klappte ich das Buch zu, unwillig, den lexikalischen Appendix zu durchblättern und blickte eine ganze Weile schweigend aus dem Fenster. Die drei Science Fiction Romane aus dem Culture-Kosmos, die ich bisher gelesen hatte, endeten alle in Zerstörung und einer Art schulterzuckendem Nihilismus; dennoch war ich überrascht und angefasst. Waren das Interview am Ende des Buches und die mehrseitigen Begriffserklärungen etwa nur dafür da, den Schluss so dermaßen überraschend, mit diesem fast chirurgischen Schnitt herbei zu führen?

Die Science Fiction Romane Banks’ (abwechselnd schreibt er auch oft preisgekrönte Mainstreamliteratur, mit der er seine Sci Fi Leidenschaft finanziert), spielen (fast?) alle im Culture-Kosmos. Die Culture ist ein großer, dennoch nur winziger Teil des Universums, ein Zusammenschluss verschiedener Lebensformen und Spezies zu einer Art intergalaktischen Bund. Die Culture ist, aus heutiger Sicht, gelebte Utopie. Geld oder andere Währungen gibt es schon lange nicht mehr, künstliche Intelligenzen, seien es Drohnen oder „Minds“, übernehmen alle Arbeit, besiegen Krankheiten, sind Träger und Verteiler unbegrenzter Informationen. Leben in der Culture ist die praktische Konsequenz eines theoretischen Lebens im Internet: es gibt praktisch alles jederzeit und umsonst. Dennoch oder gerade deshalb sind die Abgründe tiefer, die Schatten dunkler und die Auswirkungen gelebter Wünsche grotesker.

„Matter“ beginnt seine Geschichte jedoch erstmal durchaus zurückhaltend. In der „Shellworld“ (einer Art künstliche, nach innen gestülpte und mit mehreren Ebenen durchsetzte Welt) Sursamen leben die Sarl, eine rückständige, mit Rüstungen, Schwertern und Dampfgeschossen operierende Zivilisation, die von einer Gruppe einander misstrauender High-Tech Alienrassen überwacht wird. Während des Krieges mit den Bewohnern von Ebene 9 wird König Hausk hinterrücks und höchst fies von seinem besten Freund und langjährigen Vertrauten ermordet. Die Tochter des Hauses ist an die Culture als Pfand in die Weiten des Alls gegeben worden, der jüngste Sohn noch nicht volljährig und ein verweichlichter Bücherwurm, Prinz Ferbin soll während der gleichen Schlacht ebenfalls einem Anschlag zum Opfer fallen. Doch dieser misslingt und Ferbin muss schließlich mit seinem so treuen wie widerspenstigen Diener Holse auf eine Reise, die sie aus der Vertrautheit ihrer Kapselwelt holt und die alle ihre Vorstellungen übersteigt.

Wie immer bei Banks ist es weniger die Story an sich, die das Buch zu einem Faszinosum macht, sondern die so detailverliebte wie absurde Logik, mit der er seine Welten erschafft und nachvollziehbar ausstellt. Auch in „Matter“ erweist sich der schottische Autor, der leider vor kurzem einer Krebserkrankung erlag, sowohl als Meister des Skalpells wie auch der Nukleardetonation. Und, besonders interessant für diesen schurzbewehrten Eulenblog, er führt hier das schönste aus zwei Welten zusammen: die archaische Grimmigkeit einer sandigen Fantasywelt, und eine Science Fiction, die versponnener, detailreicher und fantasievoller ist als so ziemlich alle Fantastik, die ich bisher gelesen habe.

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Made To Break – Cherchez La Femme

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Hört man die ersten 4 Minuten des neuen Albums von Made To Break, den hart Akkorde anschlagenden Bass von Devin Hoff, mehr wie ein Riff zwischen Punk und Funk, rhythmisch getrieben von Tim Daisys locker stolpergroovendem Schlagzeug, schließlich Ken Vandermark mit seinen akzentuierenden Linien, der mit wenigen Tönen rein über seinen zerrenden, beißenden Klang bereits ein mitreißendes Feuer legen kann, kommen schnell Assoziationen zu anderen Vandermark-Projekten auf. Treibende, die Grenzen zur Rockmusik auslotende Stücke charakterisierten die langjährig bestehenden Vandermark 5 ebenso wie das NRG-Ensemble, allerdings waren und sind es alles andere als straighte Grooves, eher stolpernd, wankend, aufgebrochen und vertrackt, und dennoch entwickeln sie einen ungemein mitreißenden Sog. Bemerkenswert aber, wie Vandermark hier zu Beginn des Albums ausgedünnt nur mit rhythmischen Licks improvisiert, immer abfedernd auf dem Groove von Bass und Schlagzeug, sich nie vollends lösend, sondern immer in Kontakt bleibend, weniger abdriftendes Solieren als klares, hinhörendes Kommunizieren, um dadurch die Intensität immer weiter zu steigern, gerade durch die enge Verzahnung des Spiels mit den Mitmusikern nicht durch die Menge und Schnelligkeit der Töne. Bassist David Hoff spielte außer im Jazz auch bei Xiu Xiu und Carla Bozulich, was man dem wuchtigen Einstieg in „Sans Serif“, dem ersten Stück des Album, anhört. Es ist Betty Davis gewidmet, die ihrem Funk eine gehörige Portion Hard Rock beimengte, sowie der Experimenten offenen Riot-Grrrl-Band Sleater-Kinney und die Referenz auf beide Musikrichtungen ist in dem Stück deutlich präsent.

Vandermarks Kompositionen haben häufig eine Art Bausteinstruktur, in dem ein Teil plötzlich unvermittelt an einen ganz anders gearteten anschließen kann, weniger hinüberleitend, als eher einen Bruch suchend. Kurz und irritierend wirft Christof Kurzmann schon in dem dahinrollenden Einstieg kurze gesampelte Splitter aus Vandermarks Spiel ins Getriebe, lässt das Schlagzeug in einen Trommelwirbel aufrollen, mischt Drones unter den Puls, bevor sie endgültig nach vier Minuten das Spielfeld übernehmen, dunkel wummernd, dann wie eine rückwärts laufende Variante des Grooves von Daisy und Hoff, in industriell klingende, kühle Noiseattacken übergehend, in denen Hoffs Bass hineinschlingernd umhergeistert, bevor Kurzmanns Loops wie aus einem alten Science Fiction importierte Ufos aufschwirren. Das Einbeziehen der Electronics als improvisatorisches Element ist das Entziehen des sicheren Bodens, ist das, was Made To Break unberechenbar werden lässt.

Ken Vandermark hatte schon bei Christof Kurzmanns zwischen improvisierter Musik und Songstrukturen changierenden Avant-Prog-Projekt El Infierno Musical mitgewirkt und zeigte sich bereits zuvor immer aufgeschlossen auch den reduzierteren Formen der europäischen Improvisation gegenüber – etwa in seiner Territory Band, in der neben den Chicagoer Kollegen auch Axel Dörner oder Lasse Marhaug spielten. Kurzmann, wie Vandermark selbst, ließ sich nie leicht in eine Schublade ablegen, leitete mit Charhizma ein Label, das neben der Wiener und Berliner improvisierten experimentellen Musik auch eine Affinität für Übergänge zum Pop zeigte. The Year Of, The Magic I.D., Schnee, El Infierno Musical, alles Projekte, in denen Kurzmann selbst mitwirkte, eigentümliche Hybride, die Erfahrungen aus der improvisierten Musik in Pop-Kontexte aufnahmen und umgekehrt. Bei Made To Break allerdings führt Kurzmann die Stücke häufig unvermittelt in abstrakteres Gebiet, lässt die Grooves in zikadenhaften Zirpklanglandschaften ausebben, umkleidet die anderen Musiker mit Samples des eigenen Spiels, Fragmentsplitter, die irritieren, aber auch intensive Klangtexturen schaffen. Zu Beginn des dritten Stückes „The Other Lottery“ schälen sich langsam die Improvisationen aus einem dräuenden Drone und Vandermark und Daisy klingen hier plötzlich sehr europäisch in ihrem eher abstrakt frei-umflirrenden, das zirpend-klackernde der Electronics aufnehmenden Spiel, eher erinnernd an frühere Aufnahmen von John Butcher oder John Stevens. Das Album führt scheinbar spielerisch durch sehr unterschiedliche musikalische Gebiete, da ist die Sensibilität für mikroskopische Klangerkundungen der Echtzeitmusik, die pulsende Energie und Expressivität des Free Jazz und des Funk, die zurückhaltende Stasis und langsame Entwicklung musikalischer Strukturen des Drone, die komplexe Agilität der freien Improvisation und es ist fast, als unternähmen die Musiker einen Rundgang durch die Spielformen der improvisierten Musik. Und über die Grenzen hinaus zu den Punkten, wo selbst diese Setzungen des Improvisierten verwischen in den Samples und Klanginstallationen Kurzmanns.

Cherchez La Femme ist die mittlerweile dritte Veröffentlichung des Quartetts und die Musik hier zeigt eine ungeheure Leichtigkeit, mit der etwa aus den abstrakten Momenten übergegangen wird in energetisch-groovende Passagen. Kurzmanns Loops fädeln sich immer wieder intensivierend ein in die Improvisationen und aus den zunächst scheinbar disparaten Elementen entsteht ein dichter, sehr eigenständiger Ensembleklang. Für mich ist es gerade die Spannung, die aus den unterschiedlichen Herangehensweisen entsteht, die dieses Album so reizvoll macht, zumal manchmal Widersprüche, Reibungen und Brüche einfach bestehen bleiben können und integraler Bestandteil der Musik werden, weil sie in unerwartetes und neues Terrain führen.

Veröffentlicht wurde das Album Anfang März auf dem Label Trost. Die Vinyl-Version enthält ein Stück weniger, „The Other Lottery“ fehlt dort leider.

Bandcamp des Labels, wo man sich das Album anhören und es als Download erstehen kann.

Seite des Labels, auf der man Vinyl- und CD-Versionen kaufen kann.

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